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Behutsam und vorausschauend.
Augenprothesen bei Kindern anpassen.

Auch, wenn der Augenverlust bei Kindern wie bei Erwachsenen durch Unfälle, Tumore oder andere Krankheiten erfolgt, müssen bei Augenprothesen andere Maßstäbe angelegt werden. Weil sich der Kopf des Kindes noch im Wachstum befindet, muss dies auch bei der Augenhöhle berücksichtigt werden. Nur so kann ein möglichst vorteilhaftes kosmetisches Spätergebnis erreicht werden.

Am schnellsten wachsen Kopfumfang und Augenhöhle in den ersten drei Lebensjahren. Deshalb muss die Augenprothese in dieser Lebensphase oft angepasst werden. Die Abstände sind individuell verschieden und wird gemeinsam mit Ocularist, Ophthalmologe und den Eltern des Kindes besprochen. Danach verlängern sich die Anpassungsintervalle auf ca. zweimal pro Jahr.

Im Falle eines angeborenen Anophthalmus bzw. Microphthalmus sind sowohl Auge als auch Orbita (die knöcherne Augenhöhle) nicht angelegt oder mitgewachsen.
Um das Wachstum der Orbita anzuregen, ist eine spezielle Behandlung erforderlich. Eine ausgezeichnete Methode beschreibt der folgende Artikel.

Prothetische und chirurgische Versorgung von Patienten mit angeborenem Anophthalmus
Artikel lesen

James H. Merritt; M.D., F.A.C.S. Dallas, Texas
Wm.

Randall Trawnik; B.C.O., Dallas Eye Prosthetics,
 Dallas Texas


Abstract: Ein Kind mit angeborenem Anophthalmus oder Microphthalmus stellt Ophthalmologen und Ocularisten vor eine der größten Herausforderungen überhaupt. Die Methode, die Augenhöhle weitgehend zu erhalten und mithilfe einer Prothese zu „expandieren“ (oder „dehnen“) in Kombination mit einem späteren chirurgischen Eingriff, ist hierbei die beste Lösung. Der folgende Artikel beschreibt einige spezielle Behandlungswege sowie die langfristige Nachsorge der betroffenen Patienten.

Der Anophthalmus Congenitus stellt das behandelnde Team bestehend aus Ocularist und Ophthalmologen vor größte Herausforderungen im Bereich der Prothetik und der plastischen Chirurgie (Abb. 1). Das Ziel der Behandlung besteht darin, Anreize für die Entwicklung der Weichteile und der knöchernen Strukturen zu schaffen. Der Erfolg oder Misserfolg dieser Behandlung ist nicht allein für das Aussehen des Kindes von Bedeutung, sondern auch für seine psychologische und soziale Entwicklung.

Abbildung 1:
 Kleinkind mit einseitigem
 angeborenen Anophthalmus

Abbildung 2:
 Entwicklung des
 Gesichts am 37. Schwangerschaftstag

Abbildung 3:
 Kind mit angeborener
 Anophthalmie und
zentralem Gesichtsspalt

Die optimale Behandlung und Versorgung von Patienten mit angeborenem Anophthalmus durch das Ocularisten- und Ophthalmologenteam setzt ein tiefgreifendes Verständnis der besonderen Dynamik des Anophthalmus voraus. Ein Anophthalmus ist das Resultat eines Entwicklungsstopps des Auges und der Augenhöhle während der Heranbildung der Organe. Die Entwicklung des Gesichts setzt in der vierten Schwangerschaftswoche ein. In der fünften Schwangerschaftswoche sind die Augen bereits als Erhöhung auf dem Gesicht von der Seite erkennbar. Anfangs entwickeln sich die Augen in medialer Richtung; etwas später verschieben sie sich durch das Gesichtswachstum nach außen. Eine Anophthalmie entsteht während dieser kritischen Phase, d.h. zwischen der vierten und der siebten Schwangerschaftswoche. Interessant ist der Vergleich einer Zeichnung eines 37 Tage alten Embryos mit dem Foto eines Kindes mit Anophthalmus und gleichzeitigem Mittelgesichtsspalt (Abb. 2 und 3). Die auffallenden Ähnlichkeiten deuten darauf hin, dass diese Anomalie auf einen Entwicklungsstopp zurückzuführen ist.
Der angeborene Anophthalmus und eine Microphthalmie stellen das behandelnde Team vor ganz unterschiedliche Herausforderungen. Der Begriff Microphthalmus wird zur Bezeichnung einer Reihe von Fehlentwicklungen verwendet, die zu ähnlichen Erscheinungsbildern führen. Zur Vereinfachung dieses Artikels wird hier die Bezeichnung Microphthalmus auf die Fälle angewendet, bei denen im Zuge einer klinischen Untersuchung ein nicht funktionstüchtiger kleiner Augapfel oder fehlentwickeltes Oculargewebe festgestellt wurden.

Abbildung 4:
 Kind mit angeborener bilateraler Anophthalmie

Erfahrungsgemäss wirkt sich eine Microphthalmie klinisch so aus, dass die ocularen Adnexe (Augenlider und Bindehaut) und die knöcherne Orbita fast normal groß bzw. dem Alter gemäß entwickelt sind und sich deshalb für die konstruktive Fertigung der Augenprothese, die Versorgung des Patienten und für die Behandlung nur selten Komplikationen ergeben.

Eine Unterscheidung zwischen einem Anophthalmus und einem Microphthalmus externer Ausprägung kann nur mittels histologischer Untersuchungen getroffen werden. Unter Umständen kann bei einer Microphthalmie die Augenhöhle ein Leben lang nur durch Anpassung von Augenprothesen behandelt werden mit optimalen funktionalen, ästhetischen und symmetrischen Ergebnissen. Vor der Vollendung des Wachstums wird von wiederherstellenden chirurgischen Eingriffen abgeraten. Unter dem Begriff Anophthalmus congenitus fassen wir alle Fälle zusammen, bei denen keine ocularen Anlagen sichtbar sind. In der Regel weisen diese Patienten eine stark verkleinerte Bindehautoberfläche auf sowie eine stark verkleinerte knöcherne Augenhöhle, verglichen mit der Entwicklung der Ocularstrukturen bei Patienten in vergleichbarem Alter (Abb. 4). Zum Thema der Entwicklung der knöchernen Orbita hat Robert Kennedy, M.D. in seinen Untersuchungen die Auswirkungen des Augenverlusts und des Volumenersatzes bzw. des Ersetzens fehlenden Volumens auf die Reifung der Orbita auf elegante Art und Weise dargestellt. Hier erlauben wir uns jedoch die Anmerkung, dass Dr. Kennedy Tieren die Augen bereits bei der Geburt entfernte; die Orbita-Entwicklung war bis zu diesem Zeitpunkt dem Alter angemessen.

Abbildung 5: 
Kind mit einseitigem Microphthalmus

Abbildung 6: 
Schädel eines Erwachsenen 
mit angeborener Anophthalmie

Die Folgen einer angeborenen Anophthalmie sind jedoch viel dramatischer, da das Wachstum bereits in der vierten bis siebten Schwangerschaftswoche zum Stillstand kommt und während der verbleibenden Entwicklungszeit kein Volumenausgleich stattfinden kann. Fälle von schwach bis mäßig ausgeprägter Microphthalmie können vom Ocularisten ohne größere Schwierigkeiten behandelt werden (Abb. 5). Bei diesen Patienten sind Augenhöhle, Augenlider und Bindehaut gut entwickelt und stellen bei der Anpassung einer Prothese kein Hindernis dar. Binnen weniger Wochen reagiert das Gewebe auf das Tragen der Prothese mit schnellem Wachstum. Hier werden oft hervorragende Ergebnisse erzielt. Die eigentliche Herausforderung bei der Prothesenfertigung und Versorgung stellt sich bei schwierigen Fällen stark ausgeprägter Microphtalmie oder klinischer Anophthalmie.

Bei angeborener Anophthalmie ist die Entwicklung der knöchernen Orbita manchmal erheblich zurückgeblieben. Zur Beschreibung dieser Anomalie wird meistens der Begriff „Micro-Orbitismus“ herangezogen (Abb. 6). In der Mehrzahl der Fälle ist die Orbitadecke dünner und flacher als bei der normal entwickelten Orbita. Je extremer die Fehlbildung desto kleiner ist das Volumen der Augenhöhle und die Bindehautoberfläche. Die Augenhöhle der betroffenen Patienten ist weich und leicht formbar und weist keinerlei Unregelmäßigkeiten auf, außer wenn ein Kolobom eines oder beider Augenlider vorliegt.

Abbildung 7:
 Schematische Darstellung einer eichelförmigen Augenhöhle
 bei angeborener Anophthalmie

Abbildung 8: 
Lidspaltphimose
 bei einseitiger
angeborener 
Anophthalmie

Die Augenhöhle bei angeborener Anophthalmie hat in der Regel die Form einer „Eichel“ (Abb. 7). An der Spitze der Augenhöhle befindet sich eine Vertiefung oder Grube. Dieser Bereich ist für die Behandlung durch Anpassung stufenweise größerer Augenprothesen von entscheidender Bedeutung. Die Augenlider sind sowohl horizontal als auch vertikal bedeutend kleiner als beim normal entwickelten Auge. Auch der Abstand zwischen Wimpern und Augenbrauen ist dementsprechend verringert. Der Lidspalt ist fast immer geschlossen und zieht sich nach innen zusammen. Dieser verkleinerte Lidspalt macht eine Untersuchung der Augenhöhle extrem schwierig (Abb. 8). Für die Behandlung der klinischen Anophthalmie oder eines extremen Microphtalmus ist ein enges Arbeits- und Vertrauensverhältnis zwischen Augenarzt, Ocularist, Patient und Familie unerlässlich. Drei traditionelle Behandlungsverfahren mithilfe von Augenprothesen waren in der Vergangenheit:

1) mechanische oder Spanndrahtexpander

2) Druck-Conformer und

3) progressiv größere Conformer

Die Autoren glauben, dass mit der durch übermäßigen Druck oder Spannung erfolgten Dehnung nur suboptimale Ergebnisse erzielt werden und dass dieses Verfahren darüber hinaus allzu oft schädliche Narben hinterlässt. Mechanische Expander sowie die meisten Druckconformer zwingen die Augenhöhle, sich an die Kontur des prothetischen Hilfsmittels anzupassen. Obwohl die Dehnwirkung rasch eintritt, kann diese Technik zur Deformation der Augenhöhle führen, indem sie die Augenhöhle dazu zwingt, sich der Druckschablone anzupassen (d.h. Deformation durch Anpassung an Conformer) (Abb. 9). An dieser Stelle der natürlichen Entwicklung tritt die forcierte Deformation durch den Expander. Dr. Alston Callahan beschrieb dieses Problem in seinem Buch „Reconstructive Surgery of the Eyelids and Ocular Adnexa“. Aggressive Expander führen zu einer nicht mehr funktionsfähigen Augenhöhle mit Störung des Ligamentum palpebrale laterale und Bindehautvernarbung. Aufgrund des sogenannten „Dehnstellen“-Effekts verliert die Bindehaut ihre Elastizität und die Fähigkeit weiter zu wachsen (Abb. 10). Die Autoren empfehlen eine Technik, bei der die Entwicklung der anophthalmischen Augenhöhle durch Prothesen gefördert wird und sie baut auf dem Gedanken auf, dass der Schlüssel der Entwicklung einer anophthalmischen Augenhöhle das Funktionieren der Augehöhle ist.

Abbildung 9:
 Kind mit Spanndrahtexpander

Abbildung 10: 
Laterale Kanthus-Erosion als Folge
 übermäßiger Dehnung

Vergleichbaren Problemfällen begegnen wir bei Kleinkindern mit zwergwüchsigen Gliedmaßen. In den letzten Jahren wurden zur Behandlung dieser Kinder mechanische Dehngeräte zum Strecken der Gliedmaßen, Gewichte oder weitreichende chirurgische Eingriffe vorgenommen. Dabei konnte die Länge der Gliedmaßen zwar positiv beeinflusst werden, jedoch verhinderte diese Methode die Entwicklung der Funktionsfähigkeit. In der modernen Physiotherapie wird eine Vielzahl von Geräten eingesetzt mit denen gleichzeitig die Funktionsfähigkeit verbessert und der Muskeltonus in den betroffenen Gliedmassen stimuliert werden soll. Ein funktionierender Muskel wiederum verleiht andauernde Wachstums- und Entwicklungsreize. Wir haben diesen Gedanken aufgenommen, um ihn so für die von uns empfohlene Expansionstherapie der Augenhöhle nutzbar zu machen.

Für alle Fälle des klinischen Anophthalmus gilt, dass die Expandierungsbehandlung so früh wie möglich begonnen werden sollte; ideal wäre ein Behandlungsbeginn in den ersten Wochen nach der Geburt. Die Autoren haben mit der Behandlung von Patienten schon in der ersten Woche nach deren Geburt begonnen. Die Phase im frühen Säuglingsalter, wenn das Wachstum besonders rasch voranschreitet und während der die knöchernen und weichen Gewebe noch mobil und anpassungsfähig sind, ist für die Behandlung mit Prothesen besonders geeignet. Leider ist es eher selten, dass wir von Kindern in diesem jungen Alter erfahren. Dennoch empfehlen die Autoren die hier beschriebene Behandlung zu beginnen, sobald Ocularist oder Augenarzt von einem betroffenen Kind zum ersten Mal erfahren. Der Kernpunkt der Behandlung besteht im Einsetzen immer größerer Prothesen die durch die modifizierte Abdrucktechnik angepasst werden. Untersuchungen unter Betäubung durch das ärztliche Team sind unabdingbar.
Im Idealfall sollten Augenarzt und Ocularist den Neupatienten so früh wie möglich gemeinsam untersuchen. Dann wird ein Behandlungsplan entwickelt und mit der Familie besprochen. Für die Familie wird ein Behandlungsplan oft als beruhigender Faktor wahrgenommen. Er dient zur Orientierung der sie unterstützenden Umgebung und hilft ihnen im Umgang mit der speziellen Situation und den Bedürfnissen des Kindes. Obwohl es beim klinischen Anophthalmus oft zur Augenlid-Phimose kommt, raten die Autoren von einer zu frühen chirurgischen Behebung des Lid-, Bindehaut-, oder Orbitadefektes ab.

Abbildung 11: 
Miteinander verwachsene Augenlider und Totalsymblepharon nach mehreren Operationen

Abbildung 12a: 
Stielconformer, der aus einem
 PMMA-Corneabutton hergestellt 
wurde

Abbildung 12b:
 Kind mit Stielconformer

Wenig beeindruckt waren die Autoren von den Ergebnissen, die mit dem frühen Einsetzen von implantierten Gewebeexpandern erzielt wurden und sie raten dringend von der lateralen Canthotomie ab, einer Operation, die bei den an uns überwiesenen Patienten häufig als erster Behandlungsschritt vorgenommen wurde. Der laterale Kanthus ist ein wesentliches, Halt verleihendes Element für die Prothese während der gesamten Wachstum- und Entwicklungsphase. Wird dieser Verankerungspunkt geschwächt, hält die Prothese schlecht und kann dann kaum mehr stabilisiert werden. Die Autoren haben Patienten gesehen, bei denen tiefe Eingriffe an der Bindehaut, Augenlider und knöcherner Orbita zu bösartigen Kontraktionen des Gewebes führten, wie zum Beispiel bei einem Kind, welches im Alter von 2 Jahren bereits 15 Mal operiert worden war. Die Augenhöhle hatte sich komplett zusammengezogen, die Augenlider waren durch Symblepharone miteinander verwachsen (Abb. 11). Das Kind kann heute weder operiert werden, noch kann es eine Prothese tragen.

Normalerweise wird bei diesen Patienten wie folgt vorgegangen: die betroffene Augenhöhle wird untersucht und der Lidspalt gemessen. In den meisten Fällen wird die Erstanpassung mithilfe eines kleinen Conformers mit Stiel durchgeführt. Der Stiel erlaubt die problemlose Einführung und Entfernung des Conformers (Abb. 12a und b). Der Stielconformer kann relativ einfach aus einem Corneal-Button hergestellt werden. Je nach Größe des Lidspalts und der Augenhöhle sollte der größte Stilconformer verwendet werden, der noch komfortabel durch die Augenlider eingesetzt werden kann. Ausgehend von der bei der Erstanpassung ermittelten Größe, kann auf der Vorderseite
zur Aufnahme des 
Hämostats der Ocularist nun eine Reihe von immer größeren Conformern für die Zukunft entwickeln (Abb. 13). Gar nicht oft genug betont werden kann, dass der Stielconformer nicht der Dehnung der Augenhöhle dient. Ein Conformer, der so groß ist, dass er von den Augenlidern festgehalten werden kann und gleichzeitig einen Anreiz zum Wachstum schafft, ist genau richtig (funktionsorientierte Anpassung). Alle zwei Wochen sollte der Conformer ausgetauscht und vergrößert werden, wobei die Gewebeausdehnung beobachtet werden muss.
Mit Beginn der Ausdehnung kann der Ocularist die Augenhöhle visuell untersuchen und anatomische Merkmale feststellen. Die Position der Grube wird vermerkt und in der Konstruktion des Conformers mit berücksichtigt (Abb. 14). Der Stiel sollte so bald wie möglich von der Vorderseite des Conformers entfernt werden. Um das Einsetzen und die Entfernung des Conformers zu erleichtern, werden zwei oder drei kleine Löcher in die Vorderseite des Conformers gebohrt. Diese Löcher sollten so groß sein, dass der Conformer mit einem kleinen Hämostat aufgenommen werden kann
(Abb. 15).

Abbildung 13: 
Reihe ansteigend größerer Conformer

Abbildung 14:
 Schematische Darstellung eines 
Stielconformers, der an den 
Grubenbereich angepasst wurde

Abbildung 15:
 Conformer mit 
Bohrlöchern

Durch die Entfernung des Stiels vom Conformer erweitert sich der Funktionsspielraum der Augenhöhle und der Bindehaut. Noch einmal weisen die Autoren darauf hin, dass die Augenhöhle bei der Anpassung des Conformers unter keinen Umständen über Gebühr belastet werden darf. Die progressive Vergrößerung des Conformers wird im Rahmen einer Untersuchung unter Anästhesie (EUA „exam under anesthesia“) überprüft, wozu auch ein Alginat-Abdruck der Augenhöhle angefertigt werden kann (Abb. 16).

Abbildung 16:
 Alginatabdruck einer Augenhöhle bei angeborener Anophthalmie, der während der Untersuchung unter Anästhesie mit einer speziellen Schale angefertigt wurde

Abbildung 17:
 Schematische Darstellung
 einer gelungenen 
Prothesenanpassung 
an den Grubenbereich

Dabei werden kleine, speziell für den Patienten angefertigte Abdruckschalen verwendet und mehrere Abdrücke mit Alginat unterschiedlicher Viskosität erstellt. Dank der aus den Abdruckmodellen gewonnenen Erkenntnisse kann der Ocularist nun eine weitere Conformerserie speziell für den Patienten fertigen. Der Grubenbereich wird ermittelt, und die speziell angepassten Conformer werden so hergestellt, dass sie genau in dieses Areal passen. Je exakter die Prothese an die Grube angepasst wird, desto besser kann sie in ihr verankert werden und somit ein Rotieren der Prothese in der Augenhöhle verhindert werden (Abb. 17). Die stufenweise Vergrößerung darf die Bindehaut der Augenhöhle nicht überfordern. Die anteriore (zur Vorderseite orientierte) Krümmung sollte so ausgebildet werden, dass die Augenlider so weit wie möglich geschlossen werden können. In den frühen Phasen der Anpassung ist noch kein großer Lidspalt zu erwarten. Eine zu rasche Dehnung bei Behandlungsbeginn kann zwar zur Öffnung der Augenlider führen, sie schränkt jedoch die Funktionsfähigkeit stark ein und verlangsamt so die Entwicklung insgesamt. Die Autoren haben beobachtet, dass sich forciert gedehnte Augenhöhlen rasch zusammenziehen, sobald das medizinische Hilfsmittel für einen Tag oder länger herausgenommen wird.
Für die stufenweise Anpassung größerer Augenprothesen bei Patienten mit angeborenem Anophthalmus kann kein fester Zeitplan vorgegeben werden. Aufgrund von Erfahrungswerten gehen die Autoren davon aus, dass die empirische Erstanpassung ungefähr bis zu drei Monate in Anspruch nehmen kann.

Abbildung 18:
 E.C. 15 Monate altes Kind mit
 angeborener Anophthalmie 
und Conformer

Abbildung 19:
 E.C. 41/2 Jahre alt mit einer 
Prothese der Behandlungsphase 3

Abbildung 20:
 Zweiteilige Prothese

Für die zweite Anpassungsphase nach der Untersuchung unter Anästhesie benötigt man zusätzlich 6 bis 9 Monate. Normalerweise werden während dieses Zeitraums kosmetische Augenprothesen angepasst, was die Eltern der betroffenen Kindern oft als moralische Unterstützung empfinden (Abb.18). Die dritte Entwicklungsphase bricht an, sobald die dynamischen Veränderungen der Augenhöhle beendet sind. In den Anfangsphasen kommt es zu schnellen Veränderungen, da die Augenhöhle bestrebt ist, verlorene Entwicklungszeit wieder gut zu machen. Durch empirische Anpassungen der Prothese auf Basis der im Zuge der Abdrücke gewonnenen Erkenntnisse und aufgrund der beobachteten Veränderungen der Augenhöhle kann die Prothesenanpassung mit dem Wachstum des weichen Gewebes synchronisiert werden. Die enge Abstimmung zwischen Ocularist und Augenarzt ist zu diesem Zeitpunkt entscheidend. In dieser Phase verlangsamt sich die Entwicklung auf das dem Alter des Kindes entsprechende Maß. Eine weitere Untersuchung unter Anästhesie ist angezeigt, sobald durch die empirische Methode keine genaue Anpassung an die veränderte Augenhöhle mehr erreicht werden kann. Da sich die Augenhöhle von jetzt an weniger verändert, kann die Behandlungshäufigkeit auf alle 6 Wochen reduziert werden. Die Prothese muss immer wieder neu angepasst werden, um sicherzustellen, dass die Größe mit der Gesamtentwicklung des Kindes Schritt hält. Die dritte Phase dauert bis zum Alter von 4 bis 5 Jahren (Abb. 19). In vielen Fällen ist die Augenhöhle nun bereits so stark erweitert, dass die Prothese zu groß ist und sie nicht mehr einfach zwischen die Augenlider eingesetzt werden kann. Hierbei können zweiteilige Prothesen Abhilfe schaffen (Abb. 20). Sobald die Prothese zu groß für die Augenhöhle geworden ist, ist ein Orbitaimplantat indiziert. Dieser Schritt leitet die vierte Stufe der Expansionsbehandlung ein.

Abbildung 21a: 
E.C. 5 1/2 Jahre alt, Wimpern berühren die Prothese

Abbildung 22a: 
E.C. 6 1/2 Jahre alt,
 Einsetzen eines Sclera-
ummantelten 
Kugelimplantats einen 
Monat nach der Operation

Abbildung 21b: 
E.C. 5 1/2 Jahre alt,
ohne Prothese

Die Autoren haben bei 20 Patienten mit angeborener Anophthalmie Orbitaimplantate chirurgisch eingepflanzt. Diese Operation wird meistens bei Erreichen des 4. bis 5. Lebensalters durchgeführt. Die Implantation in anophthalmische Augenhöhlen erfordert Geduld, behutsames Umgehen mit den Geweben, eine genaue Beurteilung des Volumens während der Operation, peinlich genaue Blutstillung und Wundverschluss. Die meisten anopthalmischen Kinder sind von relativ kleinem Wuchs. Zwei unserer Patienten wiesen einen Wachstumshormonmangel auf. Hierzu sollte auf jeden Fall der Kinderarzt befragt werden. Sobald das 4- oder 5-jährige Kind die ersten drei Behandlungsstufen vollständig durchlaufen hat und nun eigentlich bereit wäre für die Implantation, kann ein Eingriff, wenn das Kind zu diesem Zeitpunkt immer noch zu klein ist, um 6 Monate oder länger aufgeschoben werden, bis das Wachstum insgesamt zugenommen hat. Aufgrund der Implantation kann nun eine konventionellere Prothesenform gewählt werden. Die Anpassung und das Einsetzen der Prothese durch den verengten Lidspalt wird einfacher. Während der Behandlungsstufen 1, 2 und 3 und vor dem Einsetzen eines Implantats kann es vorkommen, dass die Wimpern die Prothese berühren, weil nicht ausreichend Bindehaut zur Verfügung steht (Abb. 21a und b). Durch Implantation kann dieses Problem abgemildert bzw. die Wimpernstellung verbessert werden, da sich die Bindehaut und die Fornices nach dem Eingriff nach vorne bewegen (Abb. 22a). Aus diesem Grund raten die Autoren davon ab, die Wimpernausrichtung chirurgisch zu verändern. Überdies sind operative Eingriffe bei Kindern, die jünger als vier Jahre sind, technisch schwierig. Die Autoren empfehlen das Einbringen einer skleral ummantelten PMMA Kugel hinter die anteriore Sehnenkapsel und die Bindehaut – ein Standardverfahren bei der Enucleation oder sekundären Implantation. Sind Anlagen zur Bildung eines Auges oder Zysten vorhanden, sollten diese enukleiert werden. Sichtbare Augenmuskeln können (ähnlich wie bei Marionetten) direkt mit dem Implantat verbunden werden . Dermis-Fett Transplantate, Hydroxylapatit, MEDPOR® oder Implantate, denen ähnliche Techniken zugrunde liegen, sind aus einer Vielzahl von Gründen hier nicht geeignet. Nach dem Einpflanzen von Gewebeexpandern in zwei anophthalmische Augenhöhlen kamen die Autoren zu dem Schluss, dass das hierbei erzielte Ergebnis nicht zufriedenstellend war; deshalb wenden sie diese Technik nicht mehr an.

Wachsen und entwickeln sich Augenhöhle, Augenlider und Bindehaut weiter und haben sie sich der Prothese weiter angepasst, kann auch noch viele Jahre später das Tauschen des Implantats mit einem Implantat größeren Durchmessers indiziert sein. Gegen die Verwendung sogenannter „integrierter“ Implantate spricht hierbei, dass diese nur sehr schwer im Nachhinein entfernt werden können. Darüber hinaus kann die enge Verbindung zwischen Bindehaut, Sehnenkapsel und porösen Implantaten die Elastizität der Bindehaut und deren Wachstum innerhalb der noch nicht voll entwickelten Orbita beeinträchtigen. Auch Schleimhauttransplantate wirken hier kontraproduktiv. Diese Implantate und deren Wechselwirkung mit der sie umgebenden Bindehaut führen zu mangelnder Elastizität und wie auch bei Dermis-Fett Transplantaten, können sie sich einer späteren Prothesenvergrößerung nur schlecht anpassen.

Abbildung 23a:
 Sklera-ummanteltes Kugel-
implantat mit einem der 
Augenhöhle entsprechenden
 Durchmesser von 14 mm
 für ein 5 Jahre altes Kind

Abbildung 24:
 Speziell angefertigte Conformer, die für den Patienten vor dem Einsetzen des Implantats vorbereitet wurden

Abbildung 23b: 
1 Jahr nach Einpfianzung
 des Implantats

Der Durchmesser des Implantats ist eine kritische Größe. Die Autoren wählen die Größe des Implantats für die Operation so, dass der Volumenmangel der Augenhöhle so gut wie irgend möglich wett gemacht wird (Abb. 23a und b). Ein übergroßes, fast schon pro-ptotisches Implantat verbessert die Situation nicht und führt dazu, dass eine Prothese (wenn überhaupt) nur unter größten Schwierigkeiten, angepasst werden kann, da hierbei sowohl der Tränensack als auch die Lidfunktion in Mitleidenschaft gezogen werden. Unser Ziel ist es, ein Implantat mit dem größtmöglichen Durchmesser einzusetzen, so dass postoperativ immer noch genügend Raum (3 mm) bleibt, um Prothesenanpassung und die Lidfunktion zu gewährleisten. Am häufigsten werden 16 mm Kugeln eingesetzt. Eine komplette Umhüllung mit Sklera-Material oder auch ein Überzug der anterioren Fläche des Implantats mit Sklera-Material kann die Volumenvergrößerung verbessern und dient gleichzeitig als Gewebebarriere zwischen Prothese und Implantat.

Vor dem operativen Eingriff sollte der Ocularist gemeinsam mit dem Augenarzt eine Reihe von speziell angefertigten Conformern vorbereiten und eine sorgfältige Auswahl treffen (Abb. 24). Die im OP-Saal vorrätigen Standardconformer sitzen postoperativ nicht gut in der Augenhöhle. Es sollten mindestens drei Conformer mit kleinen Unterschieden bezüglich des vertikalen Durchmessers hergestellt werden. Der Durchmesser und die Wölbung der Conformer sollten der Prothese, die vor der Operation getragen wurde, entsprechen; dabei sollte die Wölbung die Krümmung des einzusetzenden runden Implantats nachahmen. Der Conformer sollte so dünnwandig wie möglich (gestaltet werden).


Abbildung 25 a
 und b





: Patient mit bilateraler angeborener Anophthalmie mit speziell angefertigten Conformern zwei Wochen nachdem Sclera- ummantelte Implantate mit einem 
Durchmesser von 16 mm eingesetzt wurden.

Abbildung 26: J.M., 3 Monate
altes Kind 
mit angeborener Anophthalmie 
und Stielconformer


Abbildung 27 a
 und b:
 J.M., 7 Jahre 
alte Patientin 
während
 Behandlungsphase

Während der Operation sollte dann der Conformer gewählt werden, der am besten in die Augenhöhle passt und am wenigsten die Wundschließung behindert (Abb. 25a und b). Bei der ersten Orbita-Implantation, durch die Autoren vor zwölf Jahren, wurde erst vor kurzem das Implantat ausgetauscht und der Durchmesser von 14 auf 18 mm vergrößert. Beim zweiten Patienten, dem die Autoren vor 11 Jahren ein Implantat eingesetzt hatten, entwickelte sich das Gewebe gut mit; der Patient erfreut sich guter Gesundheit und weist eine gute Wachstumsentwicklung auf. In der jüngsten Vergangenheit haben die Autoren damit begonnen, auch andere Techniken der plastischen Chirurgie im Bereich des Augenlides bei Patienten mit unterschiedlichen Augenlidfehlbildungen aufgrund angeborener Anophthalmie anzuwenden. Mit Rücksicht auf die spätere Entwicklung ist ein um- und vorsichtiges Vorgehen bei begleitenden Lidkorrekturen dieser Art geboten. Der Zeitpunkt solcher Eingriffe sollte normalerweise einige Jahre nach der Orbita-Implantation liegen. Viele Kinder leiden unter einem Blepharophimose Syndrom, das am besten mit einer stufenweise durchgeführten medialen Mustarde-Kanthoplastik und Levator-Resektion oder einer Fasciafrontalis Suspension zu behandeln ist. Ein bei Patienten mit angeborener Anophthalmie gelegentlich zu beobachtendes Augenlidkolobom kann eine Schließung des Defekts vor den Behandlungsstufen 1 und 2 erfordern, um der Prothese besseren Halt zu verleihen. Bei einigen unserer Patienten mit einer Ptosis zeigten sich Verbesserungen bei der Lidhebung nach Einsetzung eines Orbitaimplantats und der hierdurch bewirkten Veränderungen (Abb. 26 bis 31).



Abbildung 28
 und b:
 J.M., 10 Tage 
nach der
operativen Einpflanzung 
eines 16 mm –
Implantats mit 
Lidschluss

Abbildung 29:
 J.M., 1 Jahr nach
dem Einsetzen 
des Implantats; 
Patientin im Alter 
von 8 Jahren

Abbildung 30: 
J.M. 5 jahre nach Einsetzen 
des Implantats; 
Patientin ist jetzt
 12 Jahre alt

Abbildung 31:
 J.M. 10 Jahre
nach Einsetzen
 des Implantats;
 Patientin im Alter
 von 17 Jahren

Chirurgische Eingriffe zur Behebung einer Ptosis sind so lange kontraindiziert, bis sich das gesamte Areal langfristig stabilisiert hat. Eine Levator-Resektion zieht unter Umständen den Fornix Superioris in Mitleidenschaft und erschwert den optimalen Halt der Prothese. Der „älteste“ Fall der Autoren, eine Patientin mit einseitiger Anophthalmie, ist heute 18 jahre alt und wurde bislang nur ein einziges Mal operiert. Als wir das Kind zum ersten Mal sahen, war das Kind gerade einmal 7 Tage alt und litt an klinischer Anophthalmie O.D. Wir begannen damals unverzüglich mit der prothetischen Behandlung (Abb. 27). Im Alter von 7 Jahren hatte sie die Behandlungsstufe 3 bereits abgeschlossen (Abb. 27a und b). Ein 16 mm Sklera-ummanteltes Implantat wurde operativ in die Augenhöhle eingesetzt. Fotos, die nach 10 Tagen (Abb. 28a und b), nach 1 Jahr (Abb. 29), nach 5 Jahren (Abb. 30) und 10 Jahren später (Abb. 31) aufgenommen wurden, zeigen, dass die Bindehaut der Augenhöhle und die Augenlider sich den immer größeren Prothesen kontinuierlich angepasst haben. Die Autoren betonen, dass die Funktionstüchtigkeit der Schlüssel zur Entwicklung ist. Die Behandlung von angeborenen Fehlbildungen verlangt vom behandelnden Team langfristiges Engagement.

Bei schwerwiegender Microphthalmie und Anophthalmie müssen der Patient, dessen Familie, der Ocularist und der Augenarzt sehr viel Zeit investieren und als Team zusammenarbeiten. Jeder Fall ist anders gelagert und stellt immer eine große Herausforderung dar. Die oben beschriebenen Techniken haben sich jedoch für unsere Behandlungsziele als sinnvoll und nützlich erwiesen. Die Autoren verweisen darauf, dass ein normal großes Lid und Orbitavolumen bei vielen dieser Patienten nie erreicht werden kann. Das Ziel muss darin bestehen, bezüglich des symmetrischen Erscheinungsbildes, der Augenlidfunktion, des prothetischen Resultats und, im Falle von Patienten mit angeborener Anophthalmie, bezüglich des Volumens der Augenhöhle das Optimale herauszuholen.
Für das Gespann Ocularist und Augenarzt liegt die schönste berufliche Erfüllung darin, einen Patienten, der an dieser sehr komplizierten Fehlbildung leidet, erfolgreich behandelt zu haben.

Danksagung: Die Autoren möchten sich bei ihren Patienten und deren Familien, deren treue Unterstützung diese Arbeit und deren Präsentation erst möglich gemacht haben, bedanken. Besonderer Dank gilt unserem Freund und Mentor John H. O’Donnel B.C.O., F.A.S.O., dessen eigenständige Ideen und Konzepte der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegen.